Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Als Teil der Schöpfung haben wir die Pflicht, uns zu engagieren

Karin Petter, Theologin und Bildungsreferentin im ÖGB, im "Sonntag"-Gespräch

Karin Petter schrieb ein Buch über die Umwelt- und Sozialenzyklika "Laudato si". Sie Analysiert, wie Papst Franziskus zum Engagement aufruft und warum er - auch - bei Gewerkschaftern großen Anklang findet.

Die Theologin und ÖGB-Bildungsreferentin Karin Petter im SONNTAG-Interview über die Umwelt- und Sozialenzyklika “Laudato si“ und warum Papst Franziskus auch bei Gewerkschaftern großen Anklang findet. (© Foto: FCG / Petter)
Die Theologin und ÖGB-Bildungsreferentin Karin Petter im SONNTAG-Interview über die Umwelt- und Sozialenzyklika “Laudato si“ und warum Papst Franziskus auch bei Gewerkschaftern großen Anklang findet. (© Foto: FCG / Petter)
 (© Foto: fcg/petter)
(© Foto: fcg/petter)

In einer Gewerkschaftsbroschüre über „Laudato Si“ zu lesen, ist überraschend. Wie kam es dazu?
Petter: Wir hatten als christliche Fraktion gerade zu der Zeit, als „Laudato Si“ erschienen ist, eine Konferenz über ökosoziale Marktwirtschaft. Als wir die Enzyklika gelesen hatten, war uns klar: Das ist eine Schrift für uns Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter.

Warum?
Petter: Da ist zum einen die klare und schonungslose Sprache, in der sich der Papst ausdrückt. Dann die angesprochenen Probleme: Umwelt, Soziales, Zusammenleben der Menschen. Alles Themen, mit denen wir uns tagtäglich auseinandersetzen. Ich persönlich bin sehr dankbar, dass all das, was dieser Papst in Zeichen und Symbolen schon lange ausgedrückt hat, nun in Worte gefasst vor uns liegt.

Wie ist die Resonanz auf „Laudato Si“ im ÖGB?
Petter: Wenn man einmal die ersten Hürden überwindet, stößt man auf eine große Dankbarkeit. Der Einsatz für andere bekommt durch Papst Franziskus wieder einen neuen Impuls.

Ihr Buch über die Enzyklika trägt den Titel „Zusammenhänge erkennen“. Könnte dies ein Schlüssel sein, um unsere zunehmend komplexe Welt besser zu verstehen?
Petter: Eine der Wurzeln unserer vielfachen Krisen besteht in der zunehmenden Spezialisierung dieser Welt. Man nimmt alles nur noch aus einem ganz speziellen Blickwinkel wahr und verliert das große Ganze aus den Augen. Als Theologin halte ich dagegen, dass die ganze Welt eine einzige Schöpfung ist und daher in Zusammenhängen, in Beziehungen lebt. Ich selbst bin ein Teil dieser komplexen Welt. Sobald ich aktiv werde, beginne ich, das Große zu verändern. Wenn ich also Zusammenhänge erkenne, hilft mir das, tätig zu werden – anstatt an der komplexen Welt zu verzweifeln.

Auf diese Aktivitäten des Einzelnen weist der Papst auch an mehreren Stellen hin. Heute meinen aber viele, „die da oben“ richten es sich schon irgendwie. Ich bin viel zu klein, um etwas zu verändern ...
Petter: Papst Franziskus sagt auch: Wir alle sind Teil des Ganzen. Das bedeutet, ich habe eine Verantwortung, die ich nicht „nach oben“ delegieren kann. Es ist daher auch meine Pflicht, mich einzusetzen. Ich halte nichts von diesen „Besserwissern“, die jammern, was alles falsch läuft, sich aber um keine Lösungen bemühen.

Wir erleben sozusagen eine Globalisierung der Angst, die lähmt und einengt.

Eine ähnliche Situation erleben wir derzeit auf politischer Ebene. Ich denke nur an die Flüchtlingsdebatte, in der man ständig fordert, dass keine Flüchtlinge mehr aufgenommen werden sollen, aber Alternativlösungen gibt es keine.
Petter: Das ist ein typischer Fall, wo zumeist aus der Distanz beurteilt wird. Meistens sind das Menschen, die mit Flüchtlingen keinen Kontakt haben, vielleicht sogar noch nie einen gesehen haben, sondern nur mit Bildern aus den Medien argumentieren. Diese Distanz macht es leicht, zu kritisieren. Aber Papst Franziskus sagt in „Laudato Si“ ganz klar: So geht es nicht. Wir müssen uns den Problemen direkt stellen und versuchen, sie gemeinsam zu lösen. Wir können keinen Schrebergarten aufbauen, Mauern drumherum ziehen und uns verschanzen. Wir alle sind Teile des Ganzen und müssen zur Lösung beitragen.

Sie sprechen in Ihrem Buch dezidiert von einem ökosozialen Weg. Dieser ist in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen. Welche Chancen sehen Sie für eine Wiederbelebung der ökosozialen Marktwirtschaft?
Petter: Wir müssen immer wieder aufzeigen, dass es diesen Weg gibt. Das heißt auch, dass wir uns vom Zwang der Profit- und Machtmaximierung verabschieden müssen. Die ökosoziale Marktwirtschaft ist in meinen Augen der einzig gangbare Weg aus dieser Krise. Es ist kein Zufall, dass er in Österreich entstanden ist. Unser Modell der Sozialpartnerschaft ist diesbezüglich ein ideales Bild. Die Frage ist nur: Was brauchen wir an gegenseitiger Wertschätzung, aber auch gegenseitigen Verpflichtungen, um dies wieder leben zu können? Wir sitzen nämlich alle im gemeinsamen Haus, um mit Papst Franziskus zu sprechen.

Nicht erst in „Laudato Si“ übt der Papst heftige Kritik am Wirtschaftsliberalismus. Er sagt: „Diese Wirtschaft tötet.“ Sie sind in der Gewerkschaft engagiert. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen in Österreich?
Petter: Was das betrifft, so sind wir in Österreich nach wie vor eine „Insel der Seligen“. Wenn man liest, was Papst Franziskus aus Südamerika bringt, ist das für uns unvorstellbar. Bei internationalen Gewerkschaftstreffen hören wir immer wieder von Kollegen, die im gewerkschaftlichen Einsatz ihr Leben lassen mussten. Das ist eine andere Realität. Aber wir haben die „Insel der Seligen“ im Kopf verlassen: Wir sind von Angst gelähmt. Wir leiden unter massiven Verlustängsten, was unseren Wohlstand betrifft. Wir erleben hier sozusagen eine Globalisierung der Angst, die einengt.

Die Angst ist aber real. Wie kann man ihr begegnen? Besteht nicht die Gefahr, dass mit diesen Ängsten Politik gemacht wird?
Petter: Ich würde das differenziert betrachten. Einmal haben die Menschen Angst, aber auch das Gefühl, mit ihrer Angst nicht ernst genommen zu werden. Ich denke, man muss auf die Ängste hören, gleichzeitig aber darauf aufmerksam machen, dass die Menschen etwas gegen ihre Ängste tun können und tun dürfen. Der Bewertungsmaßstab muss die Tat sein. Wir müssen uns aber auch fragen: Was heißt Zufriedenheit? Wo liegen unsere Wünsche und Vorstellungen? Das hat sich im Laufe der Generationen massiv verändert. Die Frage, was dem Leben Sinn und Schönheit gibt, bleibt heute oftmals offen. Ich denke, da ist die Kirche sehr gefragt. Papst Franziskus bietet hier viele Ansätze.

Der Papst spricht viel vom Dialog. Man hat den Eindruck, dass Diskussionen heute zunehmend verhärten. Erleben Sie das auch so?
Petter: Ich glaube, das hängt auch mit der medialen Wahrnehmung zusammen. Aber es stimmt, dass die Wortwahl in vielen Diskussionen zugespitzter geworden ist und man auf Konfrontation geht. Da besteht die Gefahr, dass man sich im Kreis dreht und nicht mehr ins Tun kommt. Die Medien, die ja gerne zuspitzen, zeigen aber nur die Spitze des Eisberges, wo es besonders hart zugeht. Darunter befindet sich ein ganz großer Bereich, wo Vereinbarungen getroffen werden, wo miteinander geredet und gearbeitet wird.

„Ermutige uns bitte in unserem Kampf für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.“ So endet das Gebet des Papstes am Schluss von „Laudato Si“. Wie wird der Kampf ausgehen und welche Hoffnung trägt Sie?
Petter: Ich glaube, dass der Kampf zunächst gegen unsere Ängste geführt werden muss. Ich sehe den „Kampf“, wie ihn der Papst bezeichnet, als gemeinsames Ringen – ob in der Pflege, in der Schule, im Betrieb etc. Mein Wunsch ist es, in diesem Miteinander gemeinsam die Welt zu gestalten. Denn alleine kommen wir nicht weiter.

 

Zur Person:

Mag. Dr. Karin Petter, geboren 1975 in Klagenfurt, studierte Theologie, Pädagogik, Soziologie und Veränderungsmanagement. Als Expertin für Sozialethik im Österreichischen Gewerkschaftsbund und Mitglied des KSÖ-Kuratoriums coacht sie Menschen, die Arbeitnehmerinteressen vertreten. Neben der christlichen Soziallehre liegen ihre Arbeitsschwerpunkte im Bereich des Trainings von Sozial- und Machtkompetenz, deren Ziel in der Schärfung der Fähigkeit zur wertschätzenden Kontroverskommunikation liegt.
Buchtipp: „Zusammenhänge erkennen“, Ausführungen zur Enzyklika „Laudato Si“, erschienen im Verlag des ÖGB.