Organisation

Internetredaktion der Diözese Gurk

Noch mehr Mensch sein: oder Heiligkeit als Lebensstil

Uraufführung des Hemma-Stückes „Eine Gottesweibspassion“ von Franzobel am Grab der heiligen Hemma im Dom zu Gurk

von Karl-Heinz Kronawetter

Bewährungsprobe im Boxring: Hemma von Gurk (Tamara Stern) (© Foto: Tanja Peball)
Bewährungsprobe im Boxring: Hemma von Gurk (Tamara Stern) (© Foto: Tanja Peball)

Ein in Scheinwerferlicht getauchter Boxring über dem Hauptaltar war das Epizentrum der erschütternden Gottesweibspassion des oberösterreichischen Schriftstellers Franzobel, die 3. Oktober 2013 von Regisseur Manfred Lukas-Luderer effektvoll und gefühlvoll im Dom zu Gurk zur Uraufführung gebracht wurde. Die über dem Hauptaltar errichtete Bühne wurde durch bedachten Lichteinsatz mit dem Kirchenraum verbunden. Im Hintergrund sichtbar das Zeichen der Passion: das Kreuz, das zum Zeichen der Hoffnung geworden ist, auch für die heilige Hemma.

Wortgefechte und Handgreiflichkeiten

Doch nun zum Spiel, in dem es „um alles geht und nicht um etwas“, wie die Figur des Jokers ganz am Beginn des Stückes thesenhaft feststellt. Perspektivenwechsel: Die Akteure steigen in den Ring. In ihren Wortgefechten und Handgreiflichkeiten zwischen den Seilen wird schnell klar, dass hier verschiedene Lebensweisen aufeinander treffen. Im Zentrum das Ehepaar Graf Wilhelm von der Sann und Gräfin Hemma von Friesach-Zeltschach. Der von Macht und Gier besessene, von allzuviel Testosteron gesteuerte zynische Wilhelm (beeindruckend gespielt von Heinz Weixelbraun) lebt sich aus und an seiner Ehefrau vorbei. Sie schlägt mit ihrer Ruhe und Besonnenheit ganz andere Töne an und fasziniert die Menschen durch ihre besondere Ausstrahlung, was in dieser Aufführung auch auf die wunderbare Hemma-Darstellerin Tamara Stern zutrifft.

Spirale der Gewalt

Neben diesem Beziehungsdrama geht es im komplexen Hemma-Spiel auch um gesellschaftliche Verwerfungen: zwischen den Herrschenden oben auf der Burg und denen da unten. Das sind die geschundenen und ausgebeuteten Bergknappen, die ihren gerechten Lohn erwarten und bittend erflehen. Doch eine gewerkschaftliche Intervention wird von der Obrigkeit nicht erhört, sondern mit Gewalt quittiert. Hier treten Hemmas Söhne, Wilhelm und Hartwig, aus ihrem Spielkonsolen-Alltag hinaus in die harte Realität, um Ordnung zu schaffen. In einem Rap besingen sie mitten im Kirchenschiff das Köpfeabhacken und das Bauchaufschlitzen - ihre brutalen Heldentaten - denn sie wissen nicht, was sie tun.

Die innere Stimme, der Maßstab

Die Söhne werden getötet. Graf Wilhelm nimmt Rache, während Hemma als Mater dolorosa mit „zerrissenem Herzen unterm Kreuz der Söhne“ leidet. An dieser dramatischen Wende des Stücks, an dem Punkt, wo Hemma nur noch „wahnsinnig oder heilig“ werden kann, wird dann in zarter Poesie ihre Ahnung von einem liebenden und verzeihenden Gott immer deutlicher. „Gott ist Leichtigkeit und Heiterkeit und Liebe.“ Hemma hört „die innere Stimme, den Maßstab“, das Gewissen. Sie spricht von Verzeihung und Barmherzigkeit, sie bricht aus dem trivialen Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt aus. Und schon ihr untreuer und kaltherziger Gatte spricht diese einzigartige Frau heilig, wenn er sagt: „Du bist so viel mehr Mensch als ich.“

Hervorragende Schauspielerleistungen

Dem hervorragend disponierten Schauspieler-Ensemble gelingt es in dieser Aufführung, Oberfläche und Tiefgang von Beziehungen darzustellen, die Konfrontation zwischen Habenwollen und Seinkönnen bis auf das Äußerste zu steigern. Neben den beiden Hauptdarstellern ist vor allem die schauspielerische Leistung von Isabella Wolf zu nennen. Verkörpert sie doch insgesamt drei Rollen: den das Geschehen kommentierenden Joker, Adalbero von Eppenstein, den Landesherrn und weltlichen Gegenspieler, und Thietmar von Donnersfeld, den Salzburger Erzbischof. Alexander Meile (Wilhelm) und Mario Linder (Hartwig) agieren stürmend und drängend und Ivana Rauchmann (Kathi) und Heinrich Baumgartner (Bergarbeiterführer Matschacher) spielen und träumen von einem besseren Leben.

Lebensstil Heiligkeit

Über Hemma, die große Landesmutter, sprechen die Historiker mit Zurückhaltung, lässt doch die Faktenlage einige Fragen offen. Aber den Dichter kümmert dies wenig und Franzobel hat in seiner Weibspassion ein Familien-, Sitten- und Gesellschaftsbild gezeichnet, das die historischen Bezüge aufnimmt und weiterdenkt. Und er hat eine starke und dennoch verwundbare, emphatische Frau auf die Bühne gehoben, die auch Selbstzweifel kennt. „Ein Mensch wie Hemma kommt wie ein Erdbeben über die Welt“, heißt es am Ende des Stückes. Hemma hat es gewagt, mit ihrem Lebensstil der Heiligkeit „die Gesellschaft zu korrigieren“, betonte Bischof Alois Schwarz in seinen einführenden Worten. Dieser Lebensstil verdient das Prädikat nachahmenswert: einst und heute!

Die Gottesweibspassion wird ab 10. Oktober im Dom zu Klagenfurt aufgeführt. >> DETAILINFORMATIONEN