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Internetredaktion der Diözese Gurk

“Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen” (Mt 25,43)

Tagung zum Thema „Flucht und Integration in Europa“ an der Universität Klagenfurt

Christentum leben, statt um dessen Erbe zu bangen, fordern Katholische Laien bei einer Tagung zum Thema „Flucht und Integration in Europa“ an der Universität Klagenfurt, die von der Katholischen Aktion, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und dem Hilfswerk Renovabis veranstaltet wurde.

150 Teilnehmer aus 13 Ländern kamen zur Tagung an die Universität Klagenfurt (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)
150 Teilnehmer aus 13 Ländern kamen zur Tagung an die Universität Klagenfurt (© Foto: KH Kronawetter / Internetredaktion)

Europa soll "das Christentum einfach leben, statt sich Sorgen um das christliche Erbe zu machen": Mit diesem Appell hat sich Gerda Schaffelhofer, die Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), am Freitagabend in Klagenfurt in ihrem Grußwort zum Auftakt einer internationalen Tagung über Flucht und Integration geäußert. Die Kirche müsse klar zeigen, dass der Platz der Christen auf den Seiten der Armen, Rechtlosen und Flüchtlinge sei, betonte die KAÖ-Präsidentin.

Zu der am Freitag, dem 30. September 2016 begonnenen dreitägigen Veranstaltung an der Universität Klagenfurt hatten die Katholische Aktion, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und das deutsche Osteuropa-Hilfswerk Renovabis geladen. 150 Teilnehmer aus 13 Ländern - darunter der Kärntner Bischof Alois Schwarz und der in der Bischofskonferenz für die Katholische Aktion zuständige steirische Bischof Wilhelm Krautwaschl, Vertreter der kirchlichen Organisationen und der Flüchtlingshilfe sowie auch Flüchtlinge - beschäftigten sich am ersten Tag mit der Situation der Menschen in Nahost und in den Aufnahmegesellschaften; für Samstag stand eine theologische Reflexion und der Austausch über Best-Practise-Projekte auf dem Programm, für Sonntag ein von Flüchtlingen gestaltetes "Fest der Begegnung"“im Rathaussaal der Stadtgemeinde Ferlach.

"Tausende christliche Laien sind derzeit an vorderster Front konkreter Flüchtlingshilfe aktiv", sagte Bischof Krautwaschl in seinem Grußwort. Dies sei zu Recht so, sei für die Kirche doch der Ausspruch von Jesus "ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen" - zugleich Tagungsmotto in Klagenfurt - ein Maßstab, mit dem das Christentum nun auf dem Prüfstand stehe.

Flüchtlingen zuhören ist schon Hilfe - Pater Tony Calleja, SJ

Wer die Chance dazu bekommt, in direkten Kontakt mit Flüchtlingen zu treten, sollte diese unbedingt nutzen: Dazu rief der Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) für Syrien, Pater Tony Calleja, am Freitagabend in seinem Vortrag auf. "Wenn ich einem Flüchtling zuhöre, helfe ich ihm vielleicht nicht viel. Doch ich übe Gerechtigkeit gegenüber einem Menschen aus, der verzweifelt, erniedrigt und traumatisiert ist und alles annehmen muss, was auf ihn zukommt", so der Ordensmann wörtlich. Flüchtlinge seien keine Nummern, sondern Menschen mit einer je eigenen Geschichte, rief Calleja in Erinnerung. Viele hätten den Verlust der Familie, extreme Ängste, Hunger und Kälte erlebt sowie ständige Unsicherheit.

Große Sorgen äußerte der Jesuit über den psychischen Zustand der Flüchtlinge in den großen Flüchtlingslagern in Libanon und Jordanien. "Viele bräuchten Psychiater oder Psychologen; viele konsumieren Amphetamine und Marihuana, um ihre Probleme zu vergessen." Insgesamt gebe es einen "großen Hoffnungsverlust", und die Jugendlichen in den Lagern seien eine "verlorene Generation". Der Gedanke an ein Zurück gebe es für viele der geflohenen Syrer nicht mehr, betonte der Flüchtlingshelfer. Nach vier Jahren Krieg schwinde auch die Solidarität mit den Binnenvertriebenen im eigenen Land.

Hoffnung auf politische Lösung des Syrienkrieges schwindet

Zur aktuellen Situation in Syrien bemerkte Calleja, die meisten hätten die Hoffnung auf eine politische Lösung offenbar aufgegeben, allen voran die Politiker. Als Alternative suche man eine militärische Lösung, weshalb nun Aleppo die Eskalation des Krieges erlebe.

Einen dringenden Appell richtete der vom Libanon aus operierende Jesuit an Europa: Es sei Pflicht des Kontinents, auf die Not zu reagieren und Flüchtlinge aufzunehmen. Ressourcen dafür gäbe es. "Erzählen Sie mir nicht, dass Österreich - das stark, gesund und tief verwurzelt in christliche Werte ist - nicht 100.000 integrieren kann." Während der Libanon, trotz vier Millionen Einwohnern auf einer halb so großen Fläche wie die Slowakei und trotz Bürgerkriegs-Geschichte, mit einer Million Flüchtlingen zurechtkomme, dominiere in Europa eine Angst, die an die Furcht des Mittelalters vor dem Fremden erinnere. Calleja: "Wovor die Angst? Vor den vielleicht 50 Terroristen? Die würden auch ohne Flüchtlinge kommen." Offenbar ängstigten sich viele, ihren Wohlstand zu verlieren. "Doch wir sind nicht allein in unserem Leben", so der Ordensmann.

So menschlich Angst auch sei, "wir müssen konsequent mit unserem Glauben und unserer Hoffnung sein. Wir müssen Begegnungen schaffen und den Menschen dabei helfen, ihre Angst zu verlieren, die sie gegen ihren Glauben handeln lässt", appellierte Calleja. Das bedeute für Europa, den Flüchtlingen freundlich zu begegnen und eine kollektive Anstrengung zu leisten. Aufgabe der Bischöfe sei es, über Barmherzigkeit und Mitleid zu sprechen, "doch dein eigenes Wort zu Kollegen am Arbeitsplatz kann mehr Gewicht haben als das des Bischofs", so der Jesuit in Richtung der Tagungsteilnehmer.

Abbau von Ängsten vor Flüchtlingen ist ein Megaprojekt - Prof. Paul M. Zulehner

Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner sprach in seinem Hauptreferat von der wichtigen Aufgabe der Kirchen, zum Abbau von Ängsten vor Flüchtlingen beizutragen. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Angst kleiner und das Vertrauen größer wird - als zweites Megaprojekt neben der Hilfe. Das gelingt nicht durch Moralisieren, sondern indem wir die Menschen aus ihrer Angst 'herauslieben' und Begegnung mit Flüchtlingen schaffen".

Dass heute 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind, sei keine Überraschung, sondern schon lange absehbar gewesen, verwies Zulehner auf eine Prognose des "Club of Rome" von 1991. Europa spalte sich durch die Entwicklung immer in Ängstliche und Zuversichtliche: "Die einen orbanisieren, die andere merkeln", so der Religionssoziologe. Im Vormarsch sei eine "populistische Politik der Angst, die dazu führt, dass man die eigene Meme vergisst - das, was die eigenen Werte ausmacht." Sozialisten seien plötzlich keine Sozialisten mehr und die Christdemokraten täten sich mit dem Christlichen schwer; beides wolle man mit einer "Verantwortungsethik" rechtfertigen.

Viele der von Rechtspolitikern beschworenen Zusammenhänge von Sozialproblemen und Migration hielten genauerem Blick nicht stand, betonte Zulehner. "Wenn etwa in Kärnten eine jahrzehntelang regierende Partei den Slogan 'erschwingliche Wohnungen für unsere eigenen jungen Leute' verwendet, so fragt man sich: Was haben die vorher die ganze Zeit gemacht?" Flüchtlinge seien daher "Lesehilfe für nicht geleistete Sozialpolitik", so der Theologe. Nur eine "Aufnahmekultur" werde langfristig den heutigen Problemen gerecht und ermögliche es, sowohl Flüchtlingen in menschlich und respektvoll zu begegnen als auch Einheimische für die nötige Mithilfe bei der Integration zu gewinnen.

Starker Einsatz gegen Fluchtursachen

Eine "Entängstigung" braucht laut der Ansicht des Experten zunächst eine "starke staatsmännische Politik des Vertrauens, der es gelingt, Fluchtursachen abzubauen". Der Kampf gegen Armut und Krieg gehöre dazu, das Ausverhandeln von Waffenstillständen, ein "Marshall-Plan" für die Nahost-Region und Afrika sowie das Hinterfragen von Waffenlieferungen - "denn wenn Österreich Waffen nach Saudiarabien liefert und diese kurz darauf im Jemen auftauchen, so ist dies ein Skandal und zeigt, wie schlecht die Kontrolle des Exportwesens im Wirtschaftsministerium funktioniert". Aufgrund der vielen Rücküberweisungen von Migranten in ihre Heimat sei deren Aufnahme auch ökonomisch sinnvoll und "die interessanteste Form der Entwicklungszusammenarbeit".

Auch Bildung sei ein Angstverminderer; Zulehner zählte darunter vor allem politische und interreligiöse Bildung sowie jene der Persönlichkeit. Die Muslime in Westeuropa seien ohnehin in einem "schöpferischen Modernisierungsstress, denn die Europäisierung des Islam geht nicht von Professoren und Imamen aus, sondern findet zuerst durch Druck von unten statt." Stammtisch-Weisheiten wie etwa, "dass Muslime uns niedergebären werden", seien falsch: Bei Muslima der zweiten und dritten Generation unterscheide sich der Kinderwunsch nicht von einheimischen Frauen. Auch die gleichzeitige Anpassung von Geschlechterrollen sei eine "unglaubliche Leistung".

Zuhören und gute Geschichten erzählen

Als dritte Form der "Entängstigung" nannte der Theologe Begegnungen: "Wer Gesichter kennt, sich Fluchtgeschichten anhört, wer zusammen musiziert und Feste feiert, verliert die Angst vor den fremden Menschen aus arabischen Kulturen. Dann wird der Fremde, der dazukommt, nicht mehr als Bedrohung, sondern als Bereicherung erlebt." Auf Ebene der Einzelpersonen gehe es darum, "dass die Balance zwischen Angst und Vertrauen auf der Seite des Vertrauens bleibt", so Zulehner. Erst wo Angst übermächtig sei, griffen Menschen zu Selbstverteidigung und Gewalt, während ihnen ein vorhandenes "Urvertrauen" ermögliche, "glauben und lieben zu können".

Besondere Aufmerksamkeit forderte der Religionssoziologe gegenüber der Verwendung von Wörtern, die negative Gefühle verstärken. "Die Sprache der Abwehr mit Begriffen wie Flüchtlingsstrom, Lawine, Zäune und Abschotten ist ohne Gesicht und ohne Geschichte und vermittelt das Gefühl, Europa sei am Untergehen." Selbst die "Flüchtlingskrise" sei zu hinterfrage; besser sei es, von Menschen, die auf der Flucht sind und Schutz und Sicherheit suchen, zu reden, und Alternativen zum Negativen zu bieten. "Wir sollten unentwegt gute Geschichten erzählen, damit unsere Kultur nicht nur von dunklen Kronenzeitungserzählungen durchtränkt ist", so Zulehner.

(Text: kathpress/red)

Eine Gemeinsame Erklärung und ein interkulturelles Fest beenden Internationale Tagung zu Flucht und Integration - Papst sendet Grußbotschaft an Teilnehmer. Mehr darüber auf www.kathpress.at