Organisation

Internetredaktion der Diözese Gurk

Die Gegenwart als prophetischen Anruf Gottes sehen

ZEIT::ZEICHEN - ein Studientag mit "Christ in der Gegenwart" Chefredakteur Johannes Röser

Was sind die gegenwärtigen „Zeichen der Zeit“, die für Christinnen und Christen einen besonderen Anspruch zum Handeln darstellen - und was sind bloß kurzfristige und vernachlässigbare Moden und Trends? Zu dieser Frage hat das Katholische Bildungswerk am 3. April zum Studientag ZEIT::ZEICHEN in das Bildungshaus Stift St. Georgen eingeladen. Als Referent war der deutsche Theologe und Journalist Johannes Röser aus Freiburg im Breisgau angereist. Der Chefredakteur der Wochenzeitschrift „Christ in Gegenwart“ stellte einige gesellschaftliche Megatrends als besondere Herausforderung für Christinnen und Christen und deren Kirchen zur Diskussion.

Gespräch mit den Naturwissenschaften

Wir leben in einem stark von den Naturwissenschaften geprägten Zeitalter. Inwieweit ist unser christliches Denken über die Schöpfung noch zu statisch und zuwenig dynamisch-evolutiv? Dass zum Beispiel der Kosmos über Milliarden Jahre ohne jede Spur menschlich-personaler Existenz auskam, wie der in Texas lehrende Astronom Steven Weinberg feststellt, muss auch für Christen eine denkerische Herausforderung sein. Angesichts der Dynamik und Spontaneität in der Evolution der Welt und des Lebens muss sich auch unser Gottdenken weiter entwickeln, forderte Röser.
Er sprach auch von der Macht der Biowissenschaften und relativierte die Monopolansprüche der Genforschung. Alles, was der Mensch lernt, denkt, fühlt, erfindet und gestaltet, lasse sich nämlich nicht monokausal aus den Genen ablesen bzw. ableiten. Besonders die „Turboevolution“ des Homo sapiens seit der Jungsteinzeit lege die Vermutung nahe, dass der Geist das menschliche Leben viel mehr schaffe und bewege als alle Gene zusammen.

Im Blick auf die Stammzellenforschung werden wir „nochmals neu beginnen müssen, mit den Wissenschaftlern - und nicht gegen sie - durchzubuchstabieren, was Leben ist, wo Leben ist, was Leben ist, wie Leben ist.“ Hier gilt es darüber nachzudenken, „was Geist im Prozeß der Biochemie heißt und was Vergeistigung, was Seele und was Beseelung“.

Ringen um Gerechtigkeit

Mit anschaulichen Beispielen führte Röser die beschleunigten Schieflagen zwischen Familien und Kinderlosen, zwischen Heutigen und Nachgeborenen vor Augen. So zahlen sich kinderreiche Familien über indirekte Verbrauchssteuern die vom Staat gewährten „Subventionen“ letztlich selbst. Im Blick auf die stark auseinanderklaffende Vermögensentwicklung wird ein einschneidender und dem Prinzip Gerechtigkeit verpflichteter Paradigmenwechsel des Sozialstaates notwendig sein. Hier sei entscheidend, dass der christliche Glaube seine Politikfähigkeit wieder entdecke und zwar durchaus in seiner gesellschaftskritischen, „antibürgerlichen“ Dimension. Röser wörtlich: „Es ist nicht nur Zeit, an Gott zu denken und mit Gott zu feiern. Er ist auch Zeit, vor Gott zu arbeiten, um Gerechtigkeit zu ringen, ja zu kämpfen. Christen sind nicht Mitglieder eines privat-spirituellen Gottesvereins. Als Glaubende sind und bleiben sie Bürger, Staatsbürger. Mehr noch: Weltbürger.

Ehe als gewagte Überschreitung des Alltäglichen

Dem gesellschaftlichen Trend zur Infantilisierung stellte Röser dann das Postulat einer mündigen Gesellschaft durch Bindung und Bildung gegenüber. Bindungsfähigkeit, Bindungswille und Treue seien „der eigentlich neue Nervenkitzel unserer Tage“. Es soll daher, ein umfassender Bildungs- und Erziehungsprozeß zur Ehe hin eingeleitet werden, der schon in der Schule beginnt.

Islam zwischen Tradition und Moderne

Ausführlich kam der Hauptreferent des Studientages auch auf den Religions-Dialog mit dem Islam zu sprechen. Wohin sich diese Weltreligion entwickeln wird, kann nicht eindeutig vorher gesagt werden. Aber auch der Islam steht unausweichlich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne. Im Gespräch mit den Muslimen sind Christen aufgefordert, für das einzustehen, was sie als wertvoll und „heilig“ erachten. Sie müssen sich aber auch eingestehen, dass die in den Menschenrechten verbriefte „Sakralisierung des Individuums“ von vielen Gesellschaften in Afrika oder Asien nicht geteilt wird.

Lebensstil Christsein

In seinem abschließenden Impulsvortrag über die Zukunft der Religion und die neue Frage nach Gott kam Röser ausführlich auf den „Lebensstil Christsein“ zur Sprache, indem er fragend feststellte: „Sind es womöglich doch die Christen, die die Kraft haben, im Widerspruch gegen die neuheidnische Selbstverwirklichungskultur und deren Anspruchsdenken die Gesellschaft aus der „Egoismusfalle“ zu befreien?“ Bezüglich der vielerorts konstatierten Glaubenskrise unserer Zeit gab Röser zu bedenken, ob Theologie und Lehramt vielleicht „zu viel“ über Gott wissen. Im Rückgriff auf Traditionen der „negativen Theologie“ müssten die Christen eine feine Empfindsamkeit dafür entwickeln, „dass Gott eben nicht ist, wie wir meinen, dass er sei.“ Eine Rückkehr zu religiöser und theologischer Bescheidenheit sei angesagt.

Alltägliche Grenzerfahrungen

Auch Koreferenten kamen zu Wort: Hochschulpfarrer Hans Peter Premur sprach über die Herausforderungen im Umgang mit Fremden, und der Villacher Krankenhausseelsorger Marjan Schuster brachte seine Grenzerfahrungen zum Thema Lebensanfang bzw. Lebensende in das Plenum ein. Der von Bischofsvikar Olaf Colerus-Geldern initiierte Studientag soll im kommenden Jahr eine Fortsetzung finden.