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Referat für Menschen mit Behinderungen

Sprache des Herzens, die einen Weg zum Leben öffnet

Der preisgekrönte Film "Die Sprache des Herzens" mit Ariana Rivoire und Isabelle Carré

Kann ein blinder und taubstummer Mensch liebenswert sein? Ist sein Leben lebenswert? Ein filmischer Beitrag zu aktuellen Diskussionthemen

Marie und Schwester Marguerite (Ariana Rivoire und Isabelle Carré) (© Foto: Filmladen Filmverleih)
Marie und Schwester Marguerite (Ariana Rivoire und Isabelle Carré) (© Foto: Filmladen Filmverleih)

Marie Heurtin kommt blind und gehörlos zur Welt. Schon die ersten Szenen des bildgewaltigen Films offenbaren die Spannung zwischen der Liebe der Eltern zu ihrem Kind und der Verzweiflung an seiner Behinderung. Nein, in eine Irrenanstalt werden sie es nicht geben, lieber behalten sie es weiter bei sich zu Hause, obwohl sie nicht mehr ein noch aus wissen. Auch die Oberin des Instituts Larnay, wo Ordensschwestern gehörlose Mädchen betreuen, sieht keine Möglichkeit, mit dem „kleinen wilden Tier“ zurechtzukommen. Anders die junge Schwester Marguerite: Sie ahnt die liebenswerte Seele des Mädchens, eingeschlossen in die Dunkelheit eines Körpers, und lässt sich auf den scheinbar aussichtslosen Kampf um ein menschenwürdiges Leben für Marie ein.
Regisseur Jean-Pierre Améris Film basiert auf einer wahren Geschichte aus dem Westen Frankreichs Ende des 19. Jahrhunderts. Visionär war damals die Idee von Schwester Marguerite, das taub-blinde Mädchen aus seinem In-Sich-Eingeschlossen-Sein zu befreien, indem es mit anderen Menschen durch Berührungen und Gebärdensprache in Kontakt tritt. Bis heute ist diese Vor-
gehensweise in der Pädagogik etabliert, wie aus den Gesprächen von engagierten Kinobesuchern herauszu-
hören ist.

Um Verstehen ringen

Aber ... wie soll das gehen: einem gehörlosen, blinden Menschen die Gebärdensprache zu erlernen? Schwester Marguerite nimmt die Hände von Marie, macht eine Gebärde, versucht die Geste mit dem dargestellten Gegenstand zu verbinden ... ein Kampf. Eindrucksvoll lassen die Schauspielerinnen an diesem Kampf teilhaben, und es wird nicht beschönigt, dass es dabei auch körperlich mitunter wirklich um einen Kampf geht – den Kampf des Lebens gegen Aussichtslosigkeit, Unverständnis, Sich-Angegriffen-Fühlen, der Kampf gegen Fremdes, das als Bedrohung des eigenen Lebens wahrgenommen wird. Und nicht zuletzt der Kampf gegen die eigene Aggressivität, die sich in Frustration und Aussichtslosigkeit ihren Weg ans Tageslicht bahnt. Dass dennoch am Ende die Liebe siegt, ist kein romantisches Happy-End: Marie Heurtin lernte wirklich die Gebärdensprache, lernte Blindenschrift, wusste sich mitzuteilen und abstrakte Inhalte zu verstehen, sie wurde aktives und geschätztes Mitglied der Gehörlosenschule, indem sie sich anderer taub-blinder Menschen annahm und ihnen ihre Zuwendung, ihr Engagement und ihr Wissen weitergab.

Die Kraft der Liebe

Berührend – und sehr authentisch, wie Betroffene aus ihrer eigenen Erfahrung bestätigen – auch der innere Weg von Schwester Marguerite: Zuerst angerührt von der verletzlichen und verletzten inneren Schönheit des behinderten Menschen, lässt sie sich ganz ergreifen, kämpft stur bis zur Verbissenheit gegen alle Widerstände an und erkennt schließlich, dass eigentlich sie selbst die Beschenkte ist: Es ist, als ob ihr Leben, durch eine schwere Lungenkrankheit mit einem klaren Ablaufdatum versehen, gerade durch Marie wieder sinnvoll geworden ist.
Ein flammendes Plädoyer angesichts der Diskussionen um Sterbehilfe und Pränataldiagnostik, dass jeder Mensch, gleich mit welcher Behinderung, liebenswürdig und dass sein Leben wertvoll ist.
Ohne explizit vom Glauben zu sprechen, spricht eigentlich aus jeder Szene die Kraft des Glaubens, der solches Engagement begründet und über den Tod hinaus fruchtbar sein lässt.

Auch für Gehörlose und Blinde

In Österreich startet „Die Sprache des Herzens“ in zahlreichen Kinos in einer „barrierefreien Kinofassung“ für Hörbeeinträchtigte, in der auch die gesprochenen Dialoge und die Geräusche untertitelt sind. So will der Filmladen Verleih „die Erlebniswelt der Gehörlosen für ein hörendes Publikum noch unmittelbarer erfahrbar“ machen. Darüber hinaus ist auch eine Audiodeskription verfügbar, die blinde Menschen mit der App „Greta“ auf ihrem Smartphone abrufen können. Abrufbar unter www.gretaundstarks.de.

von Georg Haab

 

"Die Sprache des Herzens", Spielfilm, Frankreich 2014; Regie: Jean-Pierre Améris. Mit Isabelle Carré, Ariana Rivoire u. a.
Bis 19. Jänner 2015 im Volkskino Klagenfurt, ab 16. Jänner im Filmstudio Villach (jeweils in der barrierefreien Fassung).
 

Weitere Informationen: www.sprachedesherzens-film.de