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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Pilgern macht die Gedanken frei und ist sinnstiftend

Der Sprecher des Netzwerks "Pilgern in Österreich" und Leiter der Kärntner Tourismusseelsorge, Roland Stadler, über das "Abenteuer Pilgern" und seinen österreichweiten Pilgerführer

Foto: Günter Jagoutz
Roland Stadler (2.v.l.) mit Pilgerinnen (Foto: Günter Jagoutz)


Stadler: Die Faszination Pilgern hat mehrere Aspekte. Da ist einmal das Unterwegssein in der Natur, das Erleben von Wind, Regen, Sonne. Dann der unterschiedliche Boden unter den Füßen, der manchmal harter Asphalt sein kann oder sanfter Waldboden. Das spiegelt die Vielfalt des Lebens wider. Dazu kommen die vielen Begegnungen, die am Weg passieren. Da erlebt man viel Herzlichkeit, erfährt Neues, wird bestärkt.
Wenn ich alleine unterwegs bin, gehört dazu, dass ich mich immer wieder neu entscheiden muss: Wie schnell bin ich unterwegs, welchen Weg wähle ich? Gehe ich Umwege und lasse mir mehr Zeit oder wähle ich den direkten Weg? Ich muss mich auch entscheiden, wie viel ich mitnehme und wie gut ich mich vorbereite. Oder lasse ich mich vom Leben überraschen? In einer Zeit, in der wir von so vielen Vorgaben geprägt sind – beruflich wie privat –, kann ich beim Pilgern viel Freiheit erfahren.

Ist es das, was Sie in Ihrem Buch in einem Kapitel als „Abenteuer Pilgern“ bezeichnen?
Stadler: Wenn ich aufbreche, weiß ich nicht, was am Ende steht. Ich lasse mich auf das Unbekannte, das Neue ein. Ich weiß auch nicht, was sich in mir selbst alles bewegt und verändert. Bei jeder Pilgerwanderung ist der Ausgang offen, und das ist schon eine Form von Abenteuer.

Wie wird Pilgern heute verstanden? Ist es wirklich noch beten mit den Füßen oder doch eine sportliche und gesundheitsfördernde Tätigkeit?
Stadler: Wer sich wirklich auf das Pilgern einlässt, verzichtet meist sogar auf das Handy, zumindest aber auf irgendwelche Facebook- oder WhatsApp-Postings. Das muss man von vornherein für sich selbst festlegen. Dann gibt es die Gruppe von Pilgern, die auch auf dem Weg via Soziale Medien kommunizieren will. Und selbstverständlich gibt es diejenigen, die das Pilgern als gut beschilderten Weitwanderweg betrachten. Das ändert sich aber im Rahmen einer Rast, wenn sie entschleunigen – und dann beginnt das Abenteuer Pilgern so richtig.

Sie beschreiben in Ihrem Buch zahlreiche Pilgerwege quer durch Österreich und darüber hinaus. Sind Sie all diese Wege selbst gegangen?
Stadler: Im Buch sind 35 Pilgerwege beschrieben. In Summe ist das ein Netz von 20.000 Kilometern. Das hätte ich niemals neben der Arbeit geschafft. Ich habe aber intensiv recherchiert und war mit vielen Menschen im Kontakt, die für diese Wege verantwortlich oder sie schon mehrfach gegangen sind. Die Kärntner Pilgerwege, die Sie  im Buch finden, kenne ich aber selbstverständlich alle.

Neben den allgemein bekannten Pilgerwegen kommen auch „exotische“ Wege vor, wie ein Abschnitt des Jakobsweges, der quer durch Wien führt, oder das höchste Pilgerkreuz in der Venedigergruppe. Wie findet man das Besondere am Pilgern, die Ruhe und innere Einkehr in der Großstadt?
Stadler: Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt und genau so viele Zugänge zum Pilgern. Wer seinen Zugang etwa in Kirchen sucht oder vielleicht eine Pause einlegt, indem er  der Orgelmusik lauscht, der ist auf einem städtischen Weg genau richtig. Ein anderer braucht das freie Unterwegssein in der Natur. Der findet den Weg zu Gott im kargen Hochgebirge oder sogar in der Schneelandschaft eines Gletschers. Es ist das Plus der österreichischen Pilgerwege, dass sie so vielfältig sind und allen Pilgern etwas bieten. Denken Sie an den Jakobsweg im Burgenland, der kaum Höhenmeter aufweist, und dann etwa, den Romediusweg in Tirol, wo man auf 3000 Meter hinaufkommt.

Haben Sie bei den Pilgerwegen einen Lieblingsweg, den Sie unseren Lesern besonders ans Herz legen?
Stadler: In Kärnten würde ich den Hemmaweg empfehlen – etwa die Strecke von Sveta Ana nach Gurk. Da ist man auf den Höhen unterwegs, hat weite Ausblicke ins Land und geht abseits der großen Straßen auf Waldwegen. Selbst alteingesessene Kärntner sind immer wieder von der Schönheit unserer Pilgerwege überrascht. Es ist doch schön, dass man direkt vor der Haustüre weggehen kann.

Sie sind ausgebildeter Pilgerbegleiter. Worauf sollte man beim Pilgern besonders achten?
Stadler: In der Vorbereitung ist es wichtig, sich die Eckdaten der Route gut anzuschauen. Dann sollte man auf die Wetterlage achten. Wichtig ist natürlich auch die Packliste. Eine Faustregel besagt, dass man nicht mehr als zehn Prozent seines Körpergewichtes in seinem Rucksack haben soll. Natürlich sind Bücher auch eine gute Hilfe. Das wichtigste Element für das Unterwegssein ist aber die Kommunikation. Das Pilgern bringt Menschen zusammen und ins Gespräch. So wird jeder Weg für jeden Menschen einzigartig.

Immer wieder ist die Rede vom „Pilgern mit allen Sinnen“. Wie darf man das verstehen?
Stadler: Pilgern mit allen Sinnen bedeutet, dass ich einmal eine ganz starke körperliche Erfahrung mache. Ich setze mich dem Wetter aus, entdecke und spüre mich in der Körperlichkeit. Ich nehme die Schöpfung mit den Augen und den Ohren ganz anders wahr und kann am Weg Beeren und anderes Obst genießen. Dann werden die Gedanken freier und weiten sich. So ist Pilgern sinnstiftend.  

Sie sind viel unterwegs. Was sind für Sie besonders beeindruckende Erlebnisse beim Pilgern?
Stadler: Es gibt viele schöne Momente. Aber besonders nachdrücklich ist, wie alle zusammenhelfen, geduldig sind und sich engagieren, wenn einem Mitpilger etwas passiert ist. Da wird Trost gespendet und die Gemeinschaft rückt zusammen. Das ist beeindruckend. Wenn ich allein unterwegs bin, ist es schön, ankommen zu dürfen. Das ergibt einen starken Vertrauensschub in das Leben. Beim Weggehen ist vieles unklar, aber es gibt eine gute, heile Ankunft.

Interview: Gerald Heschl

 

Zur Person: Mag. Roland Stadler, Jahrgang 1968, studierte Katholische Theologie in Graz und war zunächst in der Pfarrseelsorge tätig, danach Leiter für den Bereich Tourismusseelsorge in der Diözese Gurk, Kärnten. Seit 2005 ist er Pilgerseelsorger und seit 2009 Vorsitzender des Arbeitskreises Tourismus- und Freizeitpastoral der katholischen Kirche Österreich. Seit 2011 Obmann der ARGE Pilgern in Kärnten, außerdem geprüfter Bergwanderführer und Organisationsberater.

Buchtipp: Das Buch „Pilgerwege in Österreich“ ist ab 2. April im Buchhandel erhältlich. Es erscheint im Verlag Anton Pustet und gibt auf 240 Seiten einen Überblick über die Pilgerwege. Dazu gibt es eine Übersichtskarte sowie viele Fakten, Informationen, Etappenvorschläge, Kilometer- und Höhenangaben. So kann man sich einen guten Überblick verschaffen, wenn man auf der Suche nach einem Pilgerweg ist. Das Buch kostet 24 Euro.